Mittwoch, 19.00 Uhr Lesung und Gespräch in deutscher Sprache
In der Eröffnungslesung der Heidelberger Literaturtage 2020 schildert Nora Bossong mit ihrem aktuellen Roman diplomatische Verhandlungen weit entfernt von dokumentarischem Realismus. Sie beleuchtet das Leben der UN-Mitarbeiterin Mira Weidner zwischen Privatem und Politischem, Bürokratie und Blauhelmeinsatz.
Schon in früheren Werken beschäftigte sich Nora Bossong mit der vertrackten Welt der Demokratie und dem Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftsphilosophischen Ideen und der politischen Wirklichkeit. Nach Stationen bei der UN in New York und Burundi lebt die Ich-Erzählerin Mira Weidner nun in Genf in einer Trabantenstadt für UN-Funktionäre. Niemand fühlt sich hier daheim. Ankommen lohnt sich nicht. Bald ist man eh wieder auf einem Außeneinsatz. Mira lebt durch ihre verkorkste Kindheit in einem Grundgefühl der Schutzlosigkeit. Ironischerweise wird sie im UN-Auftrag immer wieder in sogenannte „Schutzzonen“ geschickt zur Wahrheitsfindung. Mit Mira Weidner ist Nora Bossong eine komplexe Hauptfigur gelungen. Sie ist schwer zu durchschauen, beobachtet scharf und pointiert. Sie hat ein besonderes Talent, Menschen zum Sprechen zu bringen. Sie geben mehr preis als sie eigentlich wollen. So auch in Burundi, wo Gewalt, Willkür und Folter an der Tagesordnung sind. Dort gibt es unendlich viel aufzuarbeiten.
Nora Bossong, 1982 in Bremen geboren, schreibt Lyrik, Romane und Essays, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem Peter-Huchel-Preis, dem Kunstpreis Berlin und dem Roswitha-Preis. Zuletzt erschienen im Hanser Verlag ihr Roman „36,9°“ (2015) und ihre Reportage „Rotlicht“ (2017) sowie im Suhrkamp Verlag der Gedichtband „Kreuzzug mit Hund“ (2018). Nora Bossong lebt in Berlin.